Pflege Selbstbestimmungsrecht

→ Pflege  Selbstbestimmungsrecht

Der Schutz der Würde und der allgemeinen Persönlichkeit der Bewohner ist auch im Pflegeheim unverzichtbar.

Für Pflege muss die Achtung des Selbstbestimmungsrechts der Bewohner eine Selbstverständlichkeit sein.

 Ich zeige, wie zentral das Selbstbestimmungsrecht der Bewohner ist und wie man sich als Pflegekraft im Alltag darauf einzustellen hat.

 Ein Hinweis: Der konkrete Beispielsfall spielt in einem Pflegeheim. Die Ausführungen zu den Grundrechten umfassen selbstverständlich auch den Umgang mit Patienten im Krankenhaus.

 Und: Im Folgenden stets »Bewohner« (=m/w/d).

Der Sachverhalt

Die Pflegekraft P. betreut auf ihrer Station viele Menschen, die geistig eingeschränkt sind. Sie können ihr Verhalten kaum vernunftbegabt steuern und sind bei der Verrichtung alltäglicher Vorgänge stark eingeschränkt.

P. ist an diesem Tag sehr ungeduldig. Zunächst will sie den Bewohner B. etwas mobilisieren und ihn veranlassen, mit ihr an die frische Luft zu gehen. Der weigert sich beharrlich. Dann versucht P., ihm eine weiche Jacke anzuziehen.

Sie ist mittlerweile ziemlich ungeduldig und raunzt den Bewohner B. an, er solle doch endlich seinen rechten Arm durch den Ärmel der Jacke schieben.

B. denkt nicht dran. P. schreit ihn an, worauf B. völlig verstört in seinen Sessel plumpst. P. verlässt das Zimmer und lässt B. im Unterhemd zurück.

Später sieht P., wie B. verstört im Unterhemd über den Flur schleicht. Besucher machen andere Pflegekräfte darauf aufmerksam, dass B. kaum bekleidet über den Gang geht.

Die Kollegen schaffen rasch Abhilfe, und B. wird ordentlich angezogen.

Das sind Ihre Fragen

Auf den ersten Blick scheint es, als sei dem B. kein Schaden zugefügt worden. Hat aber P. nicht dennoch mit ihrem ungehaltenen Benehmen die Rechte des ihr anvertrauten Bewohners B. verletzt?

Wann wird die Ungeduld in einem schlechten Moment zur Pflichtverletzung?

Löst eine solche Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Bewohner Schadensersatz und Schmerzensgeld aus?

Darum geht es

Die körperliche Unversehrtheit, das Leben und die Gesundheit des B. sind nicht in Gefahr.

Und dennoch kann das abfällige Verhalten der P. und ihre Rücksichtslosigkeit gegenüber dem hilflosen Bewohner kaum hingenommen werden. Es ruft geradezu nach einer Sanktion.

Dabei ist zunächst zu klären, welche Rechtsgüter es eigentlich sind, die durch das Verhalten der P. beschädigt werden.

Bewohner eines Pflegeheims haben Anspruch darauf, dass ihre Würde und Ehre gewahrt werden. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ist auch im Pflegeheim besonders geschützt.

Zum Schutz der Persönlichkeit gehört auch das Selbstbestimmungsrecht. Der B. darf selbst entscheiden, wie er seinen Tag gestalten will, welche Spaziergänge er machen will oder wann er TV sehen will.

Die Selbstbestimmung ist nur dort aufgehoben, wo der Bewohner sich in akute Gefahr bringt. Dann könnte Pflege sich in einem solchen Einzelfall über den entgegenstehenden Willen hinwegsetzen.

Ansonsten darf auch der eingeschränkte oder geistig eingetrübte Mensch grundsätzlich ein Recht auf Selbstbestimmung reklamieren. Es genügt der natürliche Restwille, der – soweit vertretbar – zu respektieren ist.

Grundsätzlich hält die Rechtsordnung für den Fall der Verletzung von Ehre und Persönlichkeitsrechten Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld bereit.


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# Schutz der Würde des Bewohners

Das Grundgesetz beginnt in Artikel 1 mit dem Satz: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« Diese Verpflichtung, die Würde zu wahren, richtet sich auch an Institutionen, die mit der Obhut und Fürsorge hilfloser und schutzbedürftiger Menschen betraut sind. Die Grundrechte enden nicht an der Tür des Pflegeheims.

Begriff der Würde

Der Schutz der Würde ist ein weitreichender Begriff. Eng verknüpft mit dem Begriff der Ehre eines Menschen enthält der Schutzauftrag das Gebot, alles, was Würde und Ehre beschädigen könnte, zu unterlassen.

Der Bewohner darf nicht bloß gestellt werden, er darf nicht in einer unwürdigen Situation zurückgelassen werden, er darf nicht vernachlässigt oder verunreinigt werden. Er ist vor neugierigen Blicken Fremder zu schützen.

Niemand darf ihn wegen seiner Hilflosigkeit oder seines Gebrechen lächerlich machen können.

Der Schutz der Würde verlangt auch, dass der Bewohner nicht überfordert wird. Unverständliches ist ihm so weit als möglich, sei es durch Bilder oder Gestik, verständlich zu machen. Er ist vor Überforderung zu bewahren. Angsteinflößende Bilder, Filme oder verängstigende Einflüsse sind von ihm ebenso fern zu halten wie ekelerregende oder obszöne Eindrücke.

Wer als (verantwortliche) Pflegekraft hier den Boden des Rechts verlässt und Ehrverletzungen zulässt, kann zur Entschädigung in Geld herangezogen werden. Die genaue Höhe bemisst sich nach der Verwerflichkeit des Handelns.

Aber die Pflegekraft P. hat noch ein anderes Problem: Wer in der Pflege tätig ist und die beschriebenen Grenzen von Würde und Persönlichkeitsrechten überschreitet, hat sich nicht nur eines Fehlverhaltens schuldig gemacht. Er zeigt, dass er persönliche, charakterliche Mängel aufweist, die ihn für die Tätigkeit als Pflegekraft in der Pflege ungeeignet erscheinen lassen.

Die sofortige Kündigung des Arbeitsverhältnisses kann die Folge sein.


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# Wahrung des Selbstbestimmungsrechts

Das Selbstbestimmungsrecht ist Ausfluss von Würde und Persönlichkeitsschutz. Es hat zunehmend an Bedeutung gewonnen und gilt in unterschiedlichem Zusammenhang als Synonym der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Auch der Schutz der körperlichen Unversehrtheit zählt dazu.

So darf beim Waschen das Wasser nicht zu heiß sein, der Fußboden nicht zu glatt, Griffe müssen festen Halt bieten, und der Bewohner darf beim Toilettengang nicht zu Fall kommen. Noch gefahrträchtiger können Handlungen der medizinischen Behandlungspflege sein.

Es gibt desweiteren das informationelle Selbstbestimmungsrecht, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, aber auch das Recht auf Selbstbestimmung bei ärztlicher Behandlung oder der Wahl des persönlichen Aufenthaltsortes.

Selbstbestimmung im Alltag des Bewohners

Die Tagesstruktur im Pflegeheim gewährleistet einen regelmäßigen Ablauf für den Bewohner. Das sichert nicht nur eine feste Organisation sondern fördert die Aktivierung des Einzelnen: Vorhandene Restfähigkeiten der Bewohner können abgerufen werden.

Und dennoch könnte der Bewohner kundtun, dass er diese oder jene »Aktivierung«, etwa Bastelstunde, Bewegung, Gesang, nicht wünscht.

Es gehört zu seinem Recht auf Selbstbestimmung, sich den Angeboten auch zu entziehen und sie abzulehnen.

Impfpflicht

Bei der aktuellen Diskussion zur Impfpflicht ist die allgemeine Impfpflicht von der viel diskutierten einrichtungsbezogenen Impfpflicht zu unterscheiden. Eine einrichtungsbezogene Impfpflicht würde das Personal treffen und in dessen Recht auf Selbstbestimmung eingreifen.

Ob die Pflicht zum Schutz des anvertrauten Bewohner als rechtliches Argument ausreicht, eine einrichtungsbezogene Impfpflicht zu statuieren, ist heiß umstritten. Und zwar immer noch, obwohl ein entsprechendes Gesetz bereits verabschiedet wurde.

Die allgemeine Impfpflicht würde die Bewohner treffen. Müssen sie sich impfen lassen, um so auch Schutz für die Mitbewohner/innen und Pflegenden zu bieten?

Dies wagt im Moment niemand abschließend zu entscheiden. Im Brennpunkt der Diskussion steht die Auslegung des Selbstbestimmungsrechts und die Frage, wo seine Schranken verlaufen.

Zwangsbehandlung

Bei therapeutischen Maßnahmen kann der entgegenstehende Behandlungswille Probleme bereiten. Hier stößt das Recht auf Selbstbestimmung an die Schranken des Rechts auf Bewahrung von Leben und Gesundheit.

Nach Maßgabe strenger gesetzlicher Voraussetzungen könnten Zwangsernährung oder Zwangsbehandlung in Betracht kommen. Das Selbstbestimmungsrecht des therapieunwilligen Bewohners tritt zurück.

Hinweis:
Zwangsmaßnahmen bedürfen richterlicher Genehmigung und sind keinesfalls schon dann zulässig, wenn etwa der Bewohner sein Abendessen nicht essen will.


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# Diskriminierungsfreier Umgang

Diskriminierungsfreier Umgang bedeutet, dass kein Bewohner wegen seines Alters, seines Geschlechts, seiner Herkunft oder Religion benachteiligt werden darf.

Die aktivierenden Angebote eines Heimes, aber auch Verpflegung und Pflege, müssen allen Bewohnern gleichermaßen zugute kommen.

Kriterien der unerlaubten Ungleichbehandlung

Die Kriterien unerlaubter Ungleichbehandlung sind im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) festgeschrieben. Es besagt, dass (neben anderen Kriterien) Alter, Geschlecht, Herkunft oder Religion nicht darüber entscheiden dürfen, ob jemand eine Leistung erhält bzw. ob er von dieser Leistung ausgenommen wird.

Für die Pflege bedeutet es, dass sie auch Angebote der Kultur und Unterhaltung grundsätzlich allen Bewohnern gleichermaßen zur Verfügung stellen muss.

Umgekehrt ist es Pflegekräften strengstens untersagt, »Lieblingsbewohner« auszuwählen, die besondere Aufmerksamkeit bekommen, während andere stundenlang läuten müssen.

Schadensersatz und Entschädigung

Geschähe eine solche Bevorteilung auch noch wegen eines der genannten Merkmale, also würden z.B. die Frauen gegenüber den Männern entsprechend bevorzugt, läge ein Fall unerlaubter Ungleichbehandlung vor.

Auch das AGG kennt Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche.

Hinweis:
Pflegekräfte sind ohnehin gut beraten, grundsätzlich keine Gefälligkeiten gegen die Zusage einer Gegenleistung zu erbringen. Selbst ein kleines »Trinkgeld« oder eine kleine »Gegenleistung« durch den Bewohner bringt die Pflegekraft in die Nähe dessen, was landläufig auch Bestechlichkeit genannt wird.


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# Fazit: Auf den Punkt gebracht

→ Der Schutz der Würde und der allgemeinen Persönlichkeit der Bewohner ist auch im Pflegeheim unverzichtbar. Die persönliche Entfaltung des Einzelnen, sein Recht auf menschenwürdige Verhältnisse und einen angemessenen Umgang mit seinen Anliegen und seinen Einschränkungen gehören dazu.

→ Für Pflege muss die Achtung des Selbstbestimmungsrechts der Bewohner eine Selbstverständlichkeit sein. Erst dort, wo die Selbstbestimmung in Selbstgefährdung umschlagen würde, kann der Wille des Bewohners in den Hintergrund treten.

→ Soll der Bewohner buchstäblich zu einem bestimmten Verhalten oder zu einer Mitwirkungshandlung gezwungen werden, bedarf es richterlicher Beschlüsse.

→ Das Gebot des diskriminierungsfreien Umgangs ist nur eine weitere Säule, die gewährleisten soll, dass im Pflegeheim im Umgang mit den Bewohnern Willkür und Ausgrenzung keinen Platz haben.

Dr. Uta Holtmann
Rechtsanwältin,
Fachanwältin für Arbeitsrecht


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