Pflege Pflichtverletzung

Pflege Pflichtverletzung

Wann liegt in der Pflege eine Pflichtverletzung vor, also ein Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten?

Das ist in der Regel nur dann der Fall, wenn die übernommene Aufgabe auch tatsächlich zum Inhalt des Arbeitsvertrags gehört.

Je geringer Vorkenntnisse und Vorbildung sind, desto weniger dürfen Stationsleitung und andere Fachvorgesetzte vom Mitarbeiter erwarten.

In meinem Beitrag zeige ich differenziert, wo die Unterschiede zwischen dem angelernten und dem ausgebildeten Pflegepersonal liegen.

Und ich zeige, was es mit der objektiven Pflichtverletzung auf sich hat, und warum der subjektive Eindruck einer solchen meist nicht ausreichend ist.


Pflege Pflichtverletzung

Der Sachverhalt

Die angelernte Pflegehilfskraft P. soll Bewohner lagern, waschen und bei Transfers unterstützen. Außerdem soll sie Blutzucker messen und subkutan spritzen.

Der P. ist mulmig. Sie hat keine anerkannte Ausbildung zur Pflegehelferin und wurde nur über Wochen »angelernt«.

P. fragt den Schüler S., der sich im 3. Ausbildungsjahr befindet, um Rat. S. zeigt ihr, wie sie den versteiften Bewohner B. am besten waschen könnte.

Beim Transfer zur Toilette versagen beide jedoch: Der B. wiegt 125 kg, und P. und S. sind rein körperlich nicht in der Lage, den B. unversehrt bis ins Badezimmer zu bringen.

Er kippt ihnen weg und fällt mit dem Kopf gegen den Türrahmen.

Nun rufen P. und S. nach »Verstärkung«.


Pflege Pflichtverletzung

Das sind Ihre Fragen

Dürfen Helfer jedwede Aufgaben der Pflege übernehmen?

Gibt es einen relevanten Unterschied zwischen dem angelernten und dem ausgebildeten Pflegepersonal?

Wann hat das Pflegepersonal das Recht, Pflege und Versorgung am Bewohner zu verweigern?


Pflege Pflichtverletzung

Darum geht es

Eine Pflichtverletzung, also ein Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten, liegt nur dann vor, wenn die übernommene Aufgabe auch tatsächlich zum Inhalt des Arbeitsvertrags gehört.

Je geringer Vorkenntnisse und Vorbildung sind, desto weniger dürfen Stationsleitung und andere Fachvorgesetzte vom Mitarbeiter erwarten.

Wer nur »angelernt« ist, kann auch nur zu minderqualifizierten Tätigkeiten herangezogen werden. In der Regel werden das vor allem pflegeferne Aufgaben sein.

Die Fülle der »Hilfstätigkeiten« ist nicht zu unterschätzen. Ihre Erledigung ist für die angemessene Versorgung der Bewohner enorm wichtig.

Dazu zählen die Essensdarreichung, Handreichungen bei der Nutzung von Alltagsgegenständen (z.B. der Bewohner sucht seine Brille), aber auch Fürsorge und Zuspruch.

Pflegerische Aufgaben der Grundpflege wie z.B. Unterstützung bei Mobilisierung, Transfers oder Körperwäsche sind im Grunde auch dem angelernten Personal »versperrt«.

Die Praxis ist oft anders: Angelerntes Personal wird in die Versorgung der Grundpflege mit eingebunden.

Der zuständigen Schichtleitung bleibt oft gar nichts anderes übrig, will sie ihre Bewohner zeitnah waschen, aus dem Bett bewegen und angemessen versorgen.

Der »Angelernte« sollte dann allerdings nicht allein sein. Er kann allenfalls als »verlängerter Arm« von Pflegeverantwortlichen agieren, deren fachliches Einschreiten bei auftretenden Schwierigkeiten jederzeit gewährleistet sein muss.

Umfassendere Kompetenzen stehen dem gelernten Pflegehelfer zu.

Damit gilt es auf der Vorgesetztenebene sorgfältig zu differenzieren, »was« »wem« aufgetragen werden kann und was von welchem Mitarbeiter verlangt werden kann.

Es sollte nicht jeder Mitarbeiter, nur weil er gerade verfügbar ist, undifferenziert mit Pflegetätigkeiten beauftragt werden, die ihn möglicherweise überfordern.


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# Objektive Pflichtverletzung

Der Maßstab dafür, wann bei Mitarbeitern in der Pflege von »Pflichtverletzung« gesprochen wird, wird abgeleitet aus ihrem Arbeitsvertrag und den jeweils typischen Inhalten und Befähigungen, die das Berufsbild einer »Pflegekraft«, eines »Pflegehelfers«, aber auch eines »Ergotherapeuten« oder eines »Betreuungsassistenten« kennzeichnen.

Objektiv

Arbeitsvertragliche Verstöße liegen vor, wenn der angewiesene Mitarbeiter diese angestammten Pflichten seines Berufsbildes verletzt, indem er gegen anerkannte Regeln und Erkenntnisse verstößt.

Bei der Pflege sind die offenkundigsten Verstöße oft verbunden mit der Verletzung von Hygieneregeln, Mängeln bei Wundversorgung und von offenen Stellen der Epidermis, aber auch mit einer unzureichenden Prophylaxe bei Sturz- und Verletzungsgefahr.

Hinweis: Die nur »gefühlte« Pflichtverletzung reicht nicht, um substantiierte Vorwürfe gegen den Mitarbeiter zu erheben.

Subjektiv

Für eine Rüge genügt es daher nicht, dass der Vorgesetzte lediglich den subjektiven Eindruck hat, Mitarbeiter M. sei »zu langsam«, »zu unhöflich«, »zu ungenau« und »zu unzuverlässig«.

Auch wenn sich subjektiv der Eindruck einer Pflichtverletzung breit macht, bedarf es doch gewisser konkreter Anhaltspunkte, um daraus den Vorwurf der Pflichtverletzung zu begründen.


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# Vorsatz und Fahrlässigkeit

Vorsatz und Fahrlässigkeit sind die bekannten Formen des Verschuldens. Nur wer schuldhaft handelt, kann dafür überhaupt zur Rechenschaft gezogen werden.

Trifft ihn kein Verschuldensvorwurf für Fehler und Versagen, scheiden Abmahnung oder gar Kündigung oder andere Formen der Sanktion regelmäßig aus.

Auch für den entstandenen Schaden ist er dann nicht ersatzpflichtig.

Vorsatz

Vorsatz wird gemeinhin definiert als »Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung«. Was aber bedeutet dieser Satz?

Wer als Beschäftigter in der Pflege gezielt gegen Grundregeln und Grundwissen pflegerischen Handelns verstößt, handelt mit Vorsatz.

Zu diesen Grundregeln zählen auch externe und interne Qualitätsrichtlinien, die sog. Standards.

Der Einwand, man habe gerade einen Standard zum Lagern, Waschen, Wundmanagement oder zum Umgang mit PEG-Sonden nicht »auf dem Schirm gehabt«, nützt nicht.

Dem Mitarbeiter bleibt es verwehrt, sich auf Unwissen zu berufen, sofern Richtlinie und Handlungsanleitung zum Standardwissen seines Berufsbildes zählen.

Hinweis: Entgegen landläufiger Auffassung kommt es nicht darauf an, ob der vorsätzliche Verstoß von einer Schädigungsabsicht getragen war.

Wer etwa aus purer Bequemlichkeit Einmal-Ausrüstungen entgegen den Vorschriften wiederholt benutzt, handelt mit Vorsatz, auch ohne dass er den Bewohner besonders schädigen wollte.

Denn es gehört zum Standardwissen in der Pflege, dass ein für den einmaligen Gebrauch bestimmtes Medizinprodukt nicht aus Gründen der Bequemlichkeit oder Kostenersparnis mehrfach benutzt werden darf.

Fahrlässigkeit

Fahrlässig handelt, wer sich um die Einhaltung höchst möglicher Sorgfalt bemüht, auch die anerkannten Regeln seines Berufes einhalten will, und dennoch – hier liegt der Unterschied zum Vorsatz – aufgrund eines Moments der Unaufmerksamkeit oder plötzlichen Versagens die pflegerischen Abläufe zuletzt nicht mehr beherrscht.

Die Fahrlässigkeit beginnt mit leichter Fahrlässigkeit und kann sich steigern bis hin zur groben Fahrlässigkeit.

Schon leicht fahrlässiges Handeln kann schwere Schäden am Bewohner nach sich ziehen.

Wer für einen kurzen Moment den Bewohner beim Duschen nicht im Blick hat und dadurch dessen Sturz und Verletzung nicht verhindert, hat trotz kleiner Unaufmerksamkeit unter Umständen schweren Schaden bewirkt.

Im Ausgangssachverhalt wird man den beiden Pflegemitarbeitern grobe Fahrlässigkeit vorhalten müssen.

Auch wenn sie (noch) keine examinierten Pflegekräfte waren, hätten sie erkennen können, dass sie den übergewichtigen Bewohner nicht sicher führen können.

Je dichter der Bewohner sich in den Händen und damit der tatsächlichen Sachherrschaft der Pflegekraft befindet, desto eher trifft der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit, wenn der Bewohner sich der Stütze und dem Halt entziehen kann.

Umgekehrt kann der Vorwurf der Fahrlässigkeit in Gänze entfallen, wenn der Bewohner zu Schaden kommt in einem Moment, in dem er sich allein in seinem Zimmer aufhält und entgegen den Anweisungen versucht, sich ohne fremde Hilfe aus dem Sessel zu erheben und dabei zu Fall kommt.


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# Mitverschulden des Arbeitgebers

Den Arbeitgeber trifft dann ein Mitverschulden, wenn das handelnde Pflegepersonal am Bett des Bewohners oder Patienten infolge eines Personalengpasses oder wegen fehlender Ausrüstung Gesundheitsschäden des Betroffenen auch bei größter Anstrengung gar nicht hätte abwenden können.

Nun ist auch das noch so qualifizierte Personal nicht für die Ausstattung des Heimes oder der Pflegeeinrichtung verantwortlich.

Es kann weder eigenmächtig Medizinprodukte, Wäsche oder Küchenmaterialien bestellen noch kann es selbstständig Personal einstellen.

Wer aber in verantwortlicher Position, z.B. als Pflegedienstleitung, Einfluss auf solche Entscheidungen hat, sollte diesen Einfluss nutzen.

Lenkungsfunktion einer Heimleitung

Die Lenkungsfunktion einer Heimleitung bedeutet, dass sie für die personelle und sächliche Ausstattung der Einrichtung Sorge zu tragen hat.

Dafür erhält das Heim finanzielle Mittel, die im sogenannten Versorgungsvertrag mit der Pflegekasse abgebildet sind.

Die Einrichtung muss einen bestimmten Qualitätsstandard aber auch tatsächlich erfüllen.
Kommt es dann zu Schadensereignissen aufgrund unzureichender Personal- oder Sachausstattung, träfe das Pflegepersonal vor Ort kaum ein Verschuldensvorwurf.

Das Verschulden läge auf Arbeitgeberseite.

Die Krise um »Corona« hat deutlich gemacht, dass unter Umständen eine Einrichtungsleitung kein Verschulden trifft, wenn es an Ausrüstung, Schutzmasken u. ä. fehlt.

Und auch geeignetes qualifiziertes Personal kann nun einmal nicht eingestellt werden, wenn der Markt »leergefegt« ist.

Dennoch muss eine Heimleitung hier sorgfältig handeln: Gelingt es ihr absehbar nicht, Schutzausrüstung, Desinfektionsmittel aber auch Personal in der nötigen Weise zu beschaffen, wird sie letztlich mit den Behörden der Heimaufsicht abzuklären haben, inwieweit das Heim im Vollbetrieb aufrecht erhalten bleiben kann.

Wichtig für die Handelnden in der Pflege am Bett

Für die Handelnden in der Pflege am Bett bedeutet dies, dass sie auf Mängel und Missstände der Ausstattung hinweisen müssen.

Nur dann sind sie im Schadensfall entlastet.

Sind die Missstände eklatant und die Unterversorgung der Bewohner »mit Händen zu greifen«, kann für das Pflegepersonal ein echtes Leistungsverweigerungsrecht entstehen.

Hinweis: Zuvor sollten unbedingt Gespräche mit der Leitungsebene über Möglichkeiten der Abhilfe und Verbesserung der Situation geführt werden. Deren Ergebnisse sollten in einem Protokoll dokumentiert werden, transparent und jederzeit für alle Beteiligten nachlesbar.


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# Fazit: Auf den Punkt gebracht

Pflichtverletzungen sind objektive Verstöße.

Nur der Eindruck oder die Mutmaßung einer Pflichtverletzung reichen nicht, um im rechtlichen Sinne Verstöße auszumachen.

Fehler und Versagen wirken sich arbeitsrechtlich aus, wenn sie schuldhaft geschehen.

Vorsatz und Fahrlässigkeit bestimmen sich danach, was die Pflegekraft gelernt hat, also nach ihrer Vorbildung sowie ihrer praktischen Erfahrung.

Wird das Pflegepersonal mit schlechter Ausrüstung und Personalengpässen dauerhaft allein gelassen, trifft den Arbeitgeber ein Mitverschulden oder sogar das alleinige Verschulden im Schadensfall.

Voraussetzung ist, dass ihm beizeiten die Missstände bekannt werden.

Dr. Uta Holtmann
Rechtsanwältin,
Fachanwältin für Arbeitsrecht


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