Pflege Garantenstellung

Pflege Garantenstellung

Pflege Garantenstellung: Pflegekräfte haben für die ihnen anvertrauten Personen – seien es Patienten oder Bewohner eines Pflegeheims – eine Garantenstellung. Das ergibt sich aus ihrem Arbeitsvertrag.

Die Garantenstellung löst die Pflicht zum Handeln aus: Ist das Wohlergehen der anvertrauten Menschen in Gefahr, muss Pflege (re)agieren.

Ich zeige, welche Umstände diese Verpflichtung zu Aufmerksamkeit und Fürsorge etwas einschränken können.

Und ich zeige, welche Konsequenzen sich aus einem Verstoß gegen diese Pflichten ergeben können.


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Der Sachverhalt

Pflegekraft X. hat Nachtschicht. Viele Bewohner sind sehr unruhig, manche sind erkrankt. Ständig geht die »Glocke«. X. weiß gar nicht mehr, zu welchem Bewohner sie zuerst eilen soll.

Nach geraumer Zeit stellt sie fest, dass sie die Glocke von Zimmer Nr. 5 ganz überhört und das Blinken der Signalleuchte vor Nr. 5 völlig übersehen hat. Rasch geht sie in das Zimmer. Bewohner B. liegt schweratmend und kaltschweißig im Bett.

X. ist völlig aufgelöst. Sie ruft den Notarzt, der auch alsbald vor Ort ist und den B. ins Krankenhaus verlegt.

Zwischenzeitlich haben sich, durch die Ankunft des Rettungswagens aufgeschreckt, andere Bewohner selbstständig aus dem Bett begeben und beobachten die Abfahrt des Rettungswagens.

Leider schaffen zwei der Bewohner es nicht mehr, wieder unversehrt ins Bett zurückzukehren. Sie stolpern und verletzen sich.

Jetzt muss X. auch noch für die Heimleitung und die Versicherung entsprechende Berichte absetzen. Dann erst ist diese Schicht zu Ende.


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Das sind Ihre Fragen

Wird die Nachtschicht, die ganz allein eine Station mit vielen Bewohnern zu betreuen hat, für die Verschlechterung des Gesundheitszustands des B. oder die erlittenen Verletzungen nach Sturz verantwortlich gemacht?

Wie kann sie sich vor einer solchen überlastenden Situation schützen?

Ist es nicht Sache der Heimleitung oder des Heimträgers, durch entsprechende organisatorische Maßnahmen von vornherein eine solche Zuspitzung zu verhindern?

Schließlich hat doch auch das Pflegepersonal Anspruch auf Fürsorge. Es darf nichts Unmögliches von ihm verlangt werden!?


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Darum geht es

Das Beispiel der stressigen Nachtschicht zeigt, dass Pflege an ihre Grenzen kommen kann.

Grundsätzlich muss die Pflegekraft fürchten, für »Zu-spät-Handeln«, das Überhören der Glocke oder ein »Gar-nicht-Handeln« zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Ihr Unterlassen kann die Qualität einer Pflichtwidrigkeit haben.

Das kann haftungsrechtliche, aber auch arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.


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# Garantenstellung

Pflegekräfte haben für die ihnen anvertrauten Personen – seien es Patienten oder Bewohner eines Pflegeheims – eine Garantenstellung. Sie haben mit dem Arbeitsvertrag die Verpflichtung übernommen, für deren »Wohl und Wehe« einzustehen. Ist das Wohlergehen der anvertrauten Menschen in Gefahr, muss Pflege (re)agieren.

Sie darf nicht tatenlos zusehen, wie ein Bewohner leicht bekleidet am offenen Fenster sitzt, tagelang zu wenig Flüssigkeit zu sich nimmt, wochenlang apathisch und depressiv nur in der Ecke sitzt oder versucht, ohne seine Brille zurecht zu kommen, weil er glaubt, sich eine neue nicht leisten zu können.

Die Garantenstellung löst die Pflicht zum Handeln aus. Einer ausdrücklichen Weisung des Vorgesetzten, der Pflegedienstleitung oder der Stationsleitung, bedarf es dafür nicht.

Die Garantenposition selbst begründet diese Handlungspflicht.

Anlassverhalten

Zwei Umstände schränken diese Verpflichtung zu Aufmerksamkeit und Fürsorge etwas ein.

Zum einen müssen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Bewohner der Hilfe und Unterstützung bedarf.

Wer also immer rüstig und mobil war und plötzlich umfällt und sich das Bein bricht, kann diese Verletzung in der Regel nicht auf ein Versäumnis der Pflegekräfte schieben.

Prävention und Prophylaxe

Aber auch in den Fällen, in denen eine Sturz- und Verletzungsgefahr bekannt ist, können Pflegekräfte nicht jede Sturzgefahr vorhersehen und nicht jeden Sturz vermeiden.

Hier kommt es darauf an, nachzuweisen, welche Schritte der Prävention betrieben wurden, um jedenfalls nach Möglichkeit den Schadenseintritt zu verhindern.

Kann Pflege nachweisen, dass sie geeignete Sturzprophylaxe betrieben hat, aber das Unglück gleichwohl nicht aufzuhalten war, fehlt es im Regelfall an einer Pflichtverletzung.


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# Nicht-Handeln

Bei den zahlreichen Verrichtungen, die von den Pflegekräften am Tag an einzelnen Bewohnern erbracht werden, können Fehler passieren.

Pflege verfügt in der Regel über sehr viel Routine, und dennoch kann sich mal eine Nachlässigkeit einschleichen. Der Bewohner erhält z.B. das falsche Essen oder die falschen Medikamente.

Viel gefahrträchtiger ist aber das Unterlassen.

Haftung wegen pflichtwidrigen Unterlassens

Die Pflegekraft vergisst, die Medikamente bereitzustellen oder den Bewohner mit Getränken zu versorgen. Sie vergisst, die Temperatur des Badewassers zu prüfen oder hält den Rollator nicht in Reichweite des Bewohners.

Das alles sind Versäumnisse, die ein relevantes Unterlassen darstellen. Kommt es in der Folge zu einem wirklichen Gesundheitsschaden am Bewohner, drohen Ansprüche wegen Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Strafrechtlich droht der Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen.

Das Verschulden

Aber auch das Unterlassen ist nur vorwerfbar, wenn es schuldhaft war. »Verschulden« entfällt allerdings nicht schon dann, wenn die gestresste Pflegekraft auf Stress und persönliche Übermüdung verweist.

Ihr »Verschulden« könnte aber entfallen, wenn sie nachweist, dass sie sich wiederholt an die verantwortliche Heimleitung gewandt hat, mit Bitte um Personalaufstockung oder einen »Springerdienst«, um in Zeiten hoher Arbeitsbelastung Unterstützung zu haben.

Wurde ihr diese gleichwohl nicht zur Seite gestellt, kann kaum der Vorwurf der Fahrlässigkeit erhoben werden, wenn dann wegen mangelnder Unterstützung Bewohner zu Schaden kommen.

Hinweis: Können in Zeiten von »Corona« Bewohner nicht vor Infektion geschützt werden, weil Masken und Schutzausrüstung fehlen, trifft das Pflegepersonal kein Verschulden, wenn die Anforderung nach Schutzausrüstung nachweislich »nach oben« gemeldet worden war. Es mag ein Organisationsversagen vorliegen, aber keine Pflichtwidrigkeit auf der Ebene der Pflegekräfte.


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# Zu-spät-Handeln

Neben der gänzlich unterbliebenen Pflegehandlung ist das »Zu-spät-Handeln« in der Praxis von Bedeutung: Pflege tritt erst hinzu, wenn der Bewohner bereits in Not ist, gestürzt ist, sich verbrüht hat, sich verschluckt hat. Auch das zu späte Eingreifen ist ein relevantes Unterlassen.

Das Verschulden

Aber auch hier muss die Säumnis vorwerfbar sei.

Grundsätzlich kann und muss die Pflegekraft schließlich nicht überall gleichzeitig sein.

Hat sie aber gewusst, dass jemand um Hilfe ruft (und sie blieb untätig) oder gab es eine Pflegeplanung, wonach engmaschige Überwachung angeordnet war (die nicht pünktlich durchgeführt wurde), ist das verspätete Hinzutreten an den Bewohner ein schuldhaftes Unterlassen.


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# Fazit: Auf den Punkt gebracht

Pflege muss Fürsorge und Obhut den anvertrauten Bewohnern entgegenbringen, ohne dass es dafür einer Extraweisung der Vorgesetzten braucht.

Kraft Arbeitsvertrags haben Pflegekräfte die Garantenstellung übernommen und damit eine Einstandspflicht für das Wohlergehen der anvertrauten Menschen.

Erfüllen sie diese Garantenpflicht nicht (etwa durch Nicht-Handeln oder durch Zu-spät-Handeln), drohen im Falle von Gesundheitsbeschädigungen Schadensersatz- und/oder Schmerzensgeldansprüche. Auch der Vorwurf strafbaren Verhaltens steht im Raum.

Trifft die Pflegekraft an den Versäumnissen aber kein Verschulden, entfallen alle Vorwürfe.

Gerade bei den »Unterlassungssünden« ist immer zu prüfen, ob die Pflicht zum Handeln überhaupt umgesetzt werden konnte. Möglicherweise liegt das Verschulden in der mangelhaften Organisation auf Leitungsebene.

Dr. Uta Holtmann
Rechtsanwältin,
Fachanwältin für Arbeitsrecht


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