Haftung Altenpflege Strafrecht

→ Haftung  Altenpflege Strafrecht

 Das Gesetz wertet jeden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eines Patienten oder Bewohners als Körperverletzung.

 Ich erläutere, wie Ärzte und Pflege dem Vorwurf einer Körperverletzung entgehen können und sich strafrechtlich absichern.

 Arzt und Pflegekräfte stehen tatsächlich latent in der Gefahr, dass Heilmaßnahmen als Körperverletzung gewertet werden, selbst dann, wenn sie glücken und die Gesundheit stärken.

 Grund hierfür ist, dass das Gesetz jeden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit als Körperverletzung wertet. Erlaubt und damit gerechtfertigt ist dieser Eingriff nur, wenn die betroffene Person ausdrücklich zuvor ihre Einwilligung hierzu erklärt hat.

 Die Notwendigkeit dieser Einwilligung sichert die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Bewohners oder Patienten.

Der Sachverhalt

 Die Pflegekraft Pf. verabreicht nach ärztlicher Weisung jeden Abend dem Bewohner B. eine Schlaftablette. Außerdem bekommt B. jeden 2. Tag eine Spritze für den Kreislauf. B. steht unter Betreuung, jedoch wurde der Betreuer schon länger nicht gesehen.

 Von einem Tag auf den anderen ist dann ein neuer Betreuer zuständig: Der Neffe des B. hat sich zum Betreuer bestellen lassen, und er will jetzt ganz genau wissen, was mit seinem Onkel in medizinischer und pflegerischer Sicht so alles geschieht.

 Er nimmt Akteneinsicht und stellt fest, dass für die Behandlung nie eine Einwilligung eingeholt worden ist. Er droht mit einer Strafanzeige. An diesem Abend lassen die Pflegekräfte vor lauter Aufregung den B. am Waschbecken fallen, und B. bricht sich den Oberschenkel.

 Nun wird der neue Betreuer massiv und fordert ein Schmerzensgeld im Namen des B. Dieser erholt sich nicht mehr von seiner Verletzung und fällt schließlich in ein Dauerkoma.

 Es findet sich eine Patientenverfügung, mit der B. verfügt, dass er bei einer aussichtslosen gesundheitlichen Lage in Verbindung mit Dauerkoma keine weiteren lebensverlängernden Maßnahmen mehr wünscht.

Das sind Ihre Fragen

 Ist wirklich jede Art der Behandlung, auch die wohlmeinende und gelungene Behandlung, nach deutschem Recht eine Körperverletzung?

 Wie können Ärzte und Pflege dem Vorwurf einer Körperverletzung entgehen und sich strafrechtlich absichern?

 Worin liegt der Unterschied zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit?

  Welche strafrechtlichen Implikationen sind zu beachten im Zusammenhang mit Handlungen in der Nähe zum Versterben?

Darum geht es

 Arzt und Pflegekräfte stehen tatsächlich latent in der Gefahr, dass Heilmaßnahmen als Körperverletzung gewertet werden, selbst dann, wenn sie glücken und die Gesundheit stärken.

 Grund hierfür ist, dass das Gesetz jeden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit als Körperverletzung wertet. Erlaubt und damit gerechtfertigt ist dieser Eingriff nur, wenn die betroffene Person ausdrücklich zuvor ihre Einwilligung hierzu erklärt hat.

 Die Notwendigkeit dieser Einwilligung sichert die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten. Bewohner oder Patienten sind vor ihrer Einwilligung ordentlich und umfassend aufzuklären, und erst wenn Aufklärung und Einwilligung vorliegen, kann die Heilmaßnahme auch durchgeführt werden. Fehlt es daran, liegt eine vorsätzliche Körperverletzung vor.

 Kommt es zu Behandlungsfehlern (»Kunstfehler«), ist dies kein Fall der vorsätzlichen Körperverletzung. Hier kam der Bewohner/Patient durch Unachtsamkeit oder fachliches Unvermögen zu Schaden. Es handelt sich um fahrlässige Körperverletzung.


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# Die vorsätzliche Körperverletzung

Aufklärung und Einwilligung stehen am Beginn einer jeden Behandlung. Die Aufklärung hat umfassend zu erfolgen und erläutert dem Patienten den Therapieplan, die Behandlungsmethode, die Risiken sowie typische und atypische Gefahren. Aber auch Rehabilitation oder Langzeitfolgen sind zu besprechen.

Einsichtsfähigkeit

 Damit eine Aufklärung überhaupt möglich ist, muss der Patient noch über genügend Einsichtsfähigkeit verfügen. Da es sich oft um komplexe medizinische Zusammenhänge handelt, sollte im Zweifel ein geeigneter Stellvertreter bestellt werden. Dies kann ein Betreuer sein.

 Keinesfalls sollte ein Patient oder Bewohner, der schon geistig eingetrübt ist, »einfach so« behandelt werden. Alles was ihm zugeführt wird in Form von Arznei, Spritzen, medizinischen Salben oder Bestrahlung ist dem Grunde nach eine vorsätzliche Körperverletzung.

 Ein später eingesetzter Betreuer könnte das Vorgehen als unzulässig rügen.

Aufklärung

 Die Aufklärung ist Sache des Arztes. Er hat den Bewohner/Patienten über die Art und Methode der Behandlung zu informieren. Risiken und Begleiterscheinungen hat er darzustellen und – soweit medizinisch bekannt – auch alternative Behandlungsmöglichkeiten vorzustellen. Letztlich soll der Bewohner/Patient selbst entscheiden, »wieviel« Behandlung und Therapie er will.

 Dabei hat sich der Arzt verständlich und adressatengerecht auszudrücken. Eine Aufklärung, die unverständlich ist, verfehlt die Absicht des Gesetzes.

Hinweis: Über das Aufklärungsgespräch sollte ein Protokoll geführt werden, das Eingang in die Patientenakte findet.


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# Die fahrlässige Körperverletzung

Kennzeichnend für das fahrlässige Handeln ist, dass die Behandlungsmaßnahme nicht wie geplant umgesetzt wird. Infolge mangelnder Aufmerksamkeit und fehlender nötiger Anspannung schlägt die Maßnahme fehl. Der Patient erleidet einen Schaden, der bei nötiger Achtsamkeit und Konzentration hätte vermieden werden können.

Grobe Fahrlässigkeit

 War die Pflegekraft ganz besonders unachtsam und hat sie dabei grundlegend gegen die anerkannten Grundsätze pflegerischen Handelns verstoßen, kann sogar der Vorwurf grober Fahrlässigkeit erhoben werden. Zu solchen schweren Verstößen können Verstöße gegen grundsätzliche Hygienebestimmungen gehören.

 Gerade in Corona-Zeiten stellt sich die Frage, ob Pflegepersonal, das ohne Schutzausrüstung Pflege verrichtet, noch dazu an Personen der Risikogruppe, die Schwelle zur groben Fahrlässigkeit überschreitet.

 Der Vorwurf trifft zu, wenn diese Schutzausrüstung auf dem Markt erhältlich war. Dann hätte auch die Pflege nur mit Schutzkleidung arbeiten dürfen. Konnte diese aber gar nicht beschafft werden, liegt in der »Pflege ohne Schutzausrüstung« eventuell ein Übernahmeverschulden: Die Pflegekräfte hätten sich von der Pflege ganz zurückziehen müssen, um keine Gefahr für die zu Pflegenden zu begründen.

 Aber das kann für ein Heim mit dem besonderen Schutz- und Fürsorgeauftrag für seine Bewohner kaum die passende Antwort sein. Und läge darin nicht wiederum ein anderes schuldhaftes Verhalten, jetzt in der Form der Unterlassung?

Hinweis:
Diese Fragen können nur anhand des jeweiligen Einzelfalls und der konkreten Umstände vor Ort rechtssicher beantwortet werden.


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# Unterlassung und Garantenstellung

Pflegekräfte haben für die ihnen anvertrauten Personen – seien es Patienten oder Bewohner eines Pflegeheims – eine Garantenstellung. Sie haben mit dem Arbeitsvertrag die Verpflichtung übernommen, für deren »Wohl und Wehe« einzustehen. Ist das Wohlergehen der anvertrauten Menschen in Gefahr, muss Pflege reagieren.

Das pflichtwidrige Unterlassen

 Die Pflegekraft kann sich nicht nur durch fehlerhaftes Handeln fahrlässig verhalten.

 Auch das »Vergessen« von Pflege, oder Pflege, die zu spät kommt, stellt ein relevantes Unterlassen dar. Kommt der Bewohner dadurch zu Schaden oder tritt aufgrund dessen eine Verschlechterung seines Gesundheitszustands ein, erfüllt dies den Vorwurf fahrlässiger Körperverletzung durch Unterlassen.


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# Aktive und passive Sterbehilfe

Der schmale Grat zwischen Strafbarkeit und Straffreiheit verläuft für Ärzte und Pflege in der Nähe des Versterbens des Patienten auf der Grenze zwischen der aktiven und passiven Sterbehilfe. Es existiert eine Patientenverfügung, mit der der nicht mehr erklärungsfähige Patient Bestimmungen trifft zum Abbruch seiner Behandlung. Dazu gehört auch das Absetzen von Medikation oder das Abschalten von Medizingeräten.

Passive Sterbehilfe

 Die gültige Patientenverfügung kann tatsächlich fordern, die Weiterbehandlung zu »stoppen«. Sie muss die medizinische Ausgangslage beschreiben und darf nur den »Entzug« von lebenserhaltenden Mitteln fordern.

 Werden technische oder andere künstliche Instrumente zur Aufrechterhaltung von Atmung, Kreislauf oder Ernährung entzogen, und stirbt in der Folge der Patient, soll das Geschehen als passive Sterbehilfe straffrei bleiben.

Aktive Sterbehilfe

• Anders verhält es sich mit allen Handlungen, die darauf gerichtet sind, das tödliche Geschehen gezielt herbeizuführen, den Todeseintritt zu beschleunigen und zu fördern. Dies kann z.B. durch Verabreichung tödlicher Gifte oder einer Überdosis Schlafmittel der Fall sein.

• Alle diese gezielt tödlichen Handlungen sind immer strafbar, auch wenn sie auf ausdrückliches Verlangen des Bewohners/Patienten geschehen.

• Jegliche Form der aktiven Sterbehilfe bleibt in Deutschland strafbar. Selbst eine Patientenverfügung hilft hier nicht weiter.

Assistierter Suizid

• Auch die Suizidhandlung setzt einen frei verantwortlichen Willen voraus. Anders als bei der Sterbehilfe legt der Suizident selbst Hand an sich an. Er bestimmt den Versterbenszeitpunkt, die Versterbensart, und im Zweifel kann er von seinem Vorhaben auch ganz abrücken. Es sind nicht andere, die über seinen Tod bestimmen, sondern nur er selbst bestimmt.

• Beihilfe zur Selbsttötung galt Jahrzehnte hindurch als straffrei. Erst im Jahr 2015 stellte der Gesetzgeber die Beihilfehandlung unter Strafe, sofern sie »geschäftsmäßig« betrieben wurde.

• Für Palliativmediziner, aber auch für Apotheker oder die Pflege im Altenheim wurde es nun strafrechtlich eng. Tödliche Mittel in Reichweite von Schwerstkranken konnten die Strafbarkeit auslösen.

Hinweis:
Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorschrift gestoppt. Der Gesetzgeber wird eine Neuregelung schaffen.


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# Fazit: Auf den Punkt gebracht

→ Jede Heilbehandlung bedarf zu ihrer Rechtfertigung der Aufklärung durch den Arzt und der Einwilligung des Patienten. Gleiches gilt bei medizinischen Behandlungen im Pflegeheim.

→ Fehlen Aufklärung und/oder Einwilligung, erfüllt die Heilbehandlung, auch im Rahmen von Behandlungspflege, den Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung.

→ Kommt es dagegen zu einem »versehentlichen« Abweichen vom geplanten Vorgehen und wird der Patient infolge Unaufmerksamkeit oder fachlichem Unvermögen verletzt, liegt in der Regel eine fahrlässige Körperverletzung vor.

→ Strafverschärfend wiegt der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit.

→ Beim Tötungsgeschehen sind die passive Sterbehilfe, die aktive Sterbehilfe und der assistierte Suizid strafrechtlich voneinander zu trennen.

→ Die Rechtslage zum assistierten Suizid und den damit verbundenen Beihilfehandlungen ist aktuell offen.

Dr. Uta Holtmann
Rechtsanwältin,
Fachanwältin für Arbeitsrecht


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